Kennst du das Gefühl? Du sitzt mit einem Buch da, hast bereits einige Seiten gelesen und kommst einfach nicht rein. Die Konzentration nimmt ab, man fühlt sich irgendwie hibbelig und gleichzeitig unwohl: Das Buch gefällt dir eigentlich gar nicht. Trotzdem liest du weiter, getrieben von einem seltsamen Pflichtgefühl.
Willkommen in meinem Leben. Ich bin so eine Person. Mir fällt es unglaublich schwer ein Buch abzubrechen. Egal wie blöd ich es finde, ich habe das Gefühl es beenden zu müssen. Dabei fühlt sich jede Sekunde verloren an und unsere Lebenszeit ist doch das wertvollste was wir besitzen.
Lesenslebenszeit: So viele Bücher, so wenig Zeit
Über den Begriff “Lesenslebenszeit” bin ich auf einem anderen Blog gestolpert und es hat direkt Klick gemacht. (Weiß leider nicht mehr, welcher Blog es war.)
Lesenslebezeit beschreibt die begrenzte Zeit, die uns im Leben zum Lesen zur Verfügung steht. Selbst der leidenschaftlichste Bücherwurm wird in seinem Leben nur eine endliche Anzahl von Büchern lesen können. Bei durchschnittlich 20-30 Büchern pro Jahr und einer aktiven Lesezeit von 60-70 Jahren kommen wir vielleicht auf 1.200-2.100 Bücher in einem Leserleben. Okay, das mag im ersten Moment viel klingen, ist aber nur ein winziger Bruchteil der Millionen verfügbaren Bücher. Bücher, die dir wirklich gefallen könnten.
Nimm dir mal einen Moment Zeit, um das sacken zu lassen: Jedes mittelmäßige Buch, das du pflichtbewusst zu Ende liest, nimmt nicht nur den Platz eines potenziell 5-Sterne Reads ein, sondern kostet dich auch Zeit, die du für etwas nutzen könntest, dass dich wirklich bereichert.
Viele gute Gründe ein Buch abzubrechen
Es gibt unfassbar viele verständliche Gründe, ein Buch abzubrechen:
- Die Geschichte packt dich nicht. Nach 50 Seiten sollte ein Buch dein Interesse geweckt haben. Falls nicht, ist es vielleicht nicht das richtige für dich – zumindest jetzt nicht.
- Der Schreibstil entspricht nicht deinem Geschmack. Manche von uns lieben bildhafte Sprache, andere bevorzugen einen knappen, direkten Stil. Ich mag keine Bücher die in der dritten Person geschrieben werden. Wenn dir nicht gefällt was du liest, hör auf!
- Du kannst dich mit den Charakteren nicht identifizieren. Okay, zugegeben. Wenn die Handlung sonst spannend genug ist, kann das funktionieren. Aber generell gilt: ohne emotionale Verbindung wird’s echt schwer, überhaupt Anteil zu nehmen.
- Das Buch passt nicht zu deiner aktuellen Lebenssituation. Manchmal ist es einfach nicht der richtige Zeitpunkt für bestimmte Themen. Du kannst es später nochmal versuchen. Ich bin ohnehin der Meinung, dass ein Buch dann zu dir kommt, wenn du bereit für es bist!
Warum es wirklich in Ordnung ist, abzubrechen
Für viele von uns fühlt sich das Abbrechen eines Buches irgendwie wie Versagen an. Wir suchen Gründe und Rechtfertigungen, warum wir unbedingt weiter lesen müssen. Bullshit!
Hier kommen einige Argumente, die diese nervige innere Stimme hoffentlich zum Schweigen bringen.
„Du willst ein Buch abbrechen, obwohl es von deine:r Lieblingsautor:in kommt?“ Nicht alles, was dein:e liebste:r Autor:in schreibt, muss dir gefallen. Da du das Buch bereits gekauft hast, unterstützt du sie oder ihn ohnehin auch ohne es zu lesen. Außerdem: Gerade weil du die anderen Werke so schätzt, ist es besser, dieses eine für dich weniger gelungene Buch beiseite zu legen, statt deine positiven Gefühle zu deiner Lieblingsautorin oder deinem Lieblingsautro zu mildern.
„Aber ich habe schon so viel Zeit investiert!“ Been there, done that. Aber das Gefühl ist völlig irrational, denn ganz ehrlich an etwas festzuhalten, nur weil du bereits Zeit oder Geld investiert hast… lässt dich nur noch mehr Zeit dafür verschwenden.
„Ich muss Bücher immer zu Ende lesen.“ Wer sagt das? Du selbst hast diese Regel aufgestellt, und du kannst sie auch ändern. Kein Buchpolizist wird an deine Tür klopfen! Versprochen.
„Was, wenn es doch noch besser wird?“ Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Buch, das dich nach 100 Seiten nicht überzeugt hat, plötzlich in ein Meisterwerk verwandelt, ist unfassbar gering. Vertraue deinem Urteilsvermögen – du weißt am besten, was dir gefällt.
„Aber dieses Buch steht auf so vielen Bestenlisten!“ Literarischer Geschmack ist wahnsinnig individuell. Nicht jedes hochgelobte Werk muss dich persönlich ansprechen. Es ist absolut in Ordnung, einen anerkannten Klassiker nicht zu mögen. Wirklich!
Bücher abbrechen bedeutet auch Selbstfürsorge
Das Akzeptieren, dass wir ein Buch jederzeit beiseitelegen dürfen, ist ein krasser Akt der Selbstfürsorge. Es ist eine Anerkennung dessen, dass unsere Lesenslebenszeit kostbar ist. Statt aus Pflichtgefühl weiterzulesen, können wir diese gewonnene Zeit in Bücher investieren, die uns wirklich bereichern und Freude bereiten.
Ich schlage vor, dich von der Idee zu verabschieden, dass du ein „guter Leser“ sein musst, indem du alles zu Ende liest. Ein wirklich guter Leser ist vielmehr jemand, der bewusst auswählt, wie er seine begrenzte Lesenslebenszeit verbringt.
Probier es aus: Gib dir selbst die Erlaubnis, ein Buch nach 50 Seiten beiseitezulegen, wenn es dich nicht überzeugt. Spür die Befreiung, wenn du das nächste Buch aufschlägst – voller Hoffnung, dass es dich diesmal wirklich begeistern wird. Deine Lesenslebenszeit verdient nichts weniger als das.
Leselebenszeit – gefällt mir! So habe ich das noch nie gesehen und mich immer schlecht gefühlt, wenn ich ein Buch abgebrochen habe, besonders dann, wenn der Großteil es hypt.
Danke für den Reminder :-).
Alles, was du schreibst, kenn ich gut und würde dem 100% zustimmen, weil es alles die Gründe sind, warum ich eben Bücher abbreche/nicht weiterlese.
Und toll jemanden zu entdecken, der beim Lesen auch nicht so gerne in dritter Person liest 😉 . Ich kann nicht zählen, wie oft der Klappentext eines Buches gut klang, ich reinlese und ernüchternd feststellen muss: Dritte Person. Mist. (Wobei bei Krimis, Fantasy gehts manchmal für mich, aber bei Romance ist es ein wirklich absolutes No-Go.)